Wie stehen wir zur Wildnis in Deutschland? Sind wir bereit uns darauf einzulassen? Forscher blickten tief ins Innenleben von uns Deutschen und fanden Erstaunliches und erstaunlich Naheliegendes…
Ende April erschien die Naturbewusstseinstudie 2013 des Bundesamtes für Naturschutz. Nicht gerade eine Bettlektüre, aber dennoch überaus lesenswert. Sie soll ja nicht unterhalten, sondern Informationen liefern. Und die bietet diese Studie nicht zu knapp. Zum Beispiel, wenn es um unser Verhältnis zur Natur, zur Wildnis geht:
Denn die Zustimmung dazu ist extrem hoch. Allerdings ist sie nicht mehr ganz so uneingeschränkt, wenn es uns ans Eingemachte geht. Wenn zum Naturgenuss auch Verzicht, persönlicher Einsatz oder Gefahr kommen.
Einige dieser Zahlen-Beispiele für das leicht gespaltene Verhältnis der Deutschen zur Wildnis stellte ich in meinem Beitrag für die Sendung nano in 3Sat vor.
Aber ich fühlte ich mich bei diesem Thema noch an etwas ganz anderes erinnert.
Konsumentengruppe Lohas und ihr Verhältnis zur Natur
Das Marketing definiert Konsumentengruppen nach ihrem Verhalten. Eine der interessantesten ist die der sogenannten Lohas (Lifestyle of health and sustainability). Diese Menschen sorgen sich um die Umwelt, möchten aber gleichzeitig auch nicht auf die Segnungen der modernen Welt verzichten. Sie lieben Fernreisen, aber dann bitte schön auch klimaneutral. Sie strampeln mit dem Fahrrad zur Arbeit und fahren am Wochenende trotzdem mit dem Greentec-Auto zum Wandern in den Nationalpark.
Dieses „sowohl als auch“ leben immer mehr Menschen, es entspricht dem modernen Zeitgeist. Umweltschutz ist heute kein Monopol für Hardcore-Ökofreaks mehr, sondern ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Manche der auf den ersten Blick widersprüchlichen Ergebnisse der Studie könnten durchaus auf dieser Lebenseinstellung beruhen. Nur ein Beispiel: Die Befragten sahen einerseits Wildnis als einen schutzwürdigen Raum, der ohne Einfluss des Menschen sein sollte – wollten aber andererseits auch selbst Zugang zur Wildnis.
Wir schützen was wir nutzen
Umweltschutz ist als Massenbewegung noch recht jung. Zuvor kämpften vor allem diejenigen für eine intakte Natur, die sie nutzten und von ihr profitierten.
Als Flüsse noch Vorfluter hießen und mancherorts fast täglich die Farbe wechselten waren dies beispielsweise Fischer und Angler. Lange Zeit waren Schadenersatzforderungen bei Fischsterben nahezu die einzige Konsequenz für Firmen, die ihr Abwasser in die Flüsse leiteten.
Heute ist das glücklicherweise anders. Immer mehr Bürger finden Natur umso besser, je wilder sie ist.
Wildnis ist die extremste Form von Naturschutz. Eine Landschaft ohne Eingriff des Menschen – oder am besten gleich ganz ohne Menschen. Und in der Wildnis leben womöglich sogar wilde Tiere.
Wenn wir so etwas ursprüngliches wieder in unserem Land zulassen sollen, wollen wir selbstverständlich auch davon profitieren.
Wir sind zwar gerne bereit darauf zu verzichten, Kernbereiche von Nationalparks zu betreten. Aber wir möchten vergleichbare Wildnis an anderer Stelle auch selbst genießen und wünschen uns ausgefeilte Nutzungskonzepte, die beidem gerecht werden.
Würde Naturschutz dazu führen, Menschen komplett auszusperren, dann hätte Natur keine Lobby mehr.
Mit dem richtigen „sowohl als auch“ wären wir zukünftig möglicherweise sogar gegenüber zurückkehrenden Wildtieren etwas aufgeschlossener. Bereit erneut zu lernen, wie man selbst mit potentiell gefährlichen Tieren zusammenleben kann. Vielleicht sogar mit Wölfen und Bären.